Tag der Selbsthilfe

„Selbsthilfe ist wichtig und wirkt, aber sie benötigt Öffentlichkeitsarbeit“

Folierter Linienbus mit vielen bunten Selbsthilfe-Slogan

Landrat Jan Weckler gab den Startschuss für die rollende Werbung gemeinsam mit Susanne Strombach (AOK), Denise Schmitt (SD VerkehrsMedien Hessen GmbH), Anette Obleser von der Selbsthilfe-Kontaktstelle des Wetteraukreises sowie Lutz Klinger (SD VerkehrsMedien Hessen GmbH; v.l.).

Anlässlich des erstmals bundesweit veranstalteten „Tags der Selbsthilfe“ bilanziert Anette Obleser von der Selbsthilfe-Kontaktstelle des Wetteraukreises deren bisher geleistete Arbeit und blickt in die Zukunft....  

Wetteraukreis (pdw) Seit 27 Jahren befasst sich Anette Obleser beim Wetteraukreis mit dem Thema Selbsthilfearbeit und Selbsthilfegruppen. Anlässlich des erstmals am 16. September bundesweit stattfindenden „Tags der Selbsthilfe“ wirft sie einen Blick auf das bisher Erreichte, die Vorteile von Selbsthilfearbeit – und wie wichtig es für diese Arbeit ist, stets im Gespräch zu bleiben.

Frage: Frau Obleser, Sie prägen schon viele Jahre die Arbeit der Selbsthilfe-Kontaktstelle. Was hat sich in diesem Zeitraum an Ihrer Arbeit verändert?

1998 begann meine Arbeit im Gesundheitsamt des Wetteraukreises, und zunächst suchte ich im Auftrag des damaligen Leiters nach Selbsthilfegruppen in der Region. 70 fanden wir und organisierten im Plenarsaal eine Veranstaltung mit einigen dieser Gruppen. Nach und nach entwickelte sich meine Zuständigkeit für hiesige Selbsthilfegruppen. 1999 erhielten wir die offizielle Anerkennung als Selbsthilfe-Kontaktstelle.

Zurzeit sind etwa 170 Gruppen und Gesprächskreise im Kreis aktiv. Damals lag der Schwerpunkt bei Suchterkrankungen, heute zählen wir erheblich mehr Selbsthilfe-Angebote für psychisch belastete Menschen. Als Sprachrohr gründeten wir vor 25 Jahren mit der Selbsthilfe-Kontaktstelle Bad Vilbel eine Selbsthilfezeitung. Sie erscheint zweimal im Jahr. Ein Faltplakat listet jährlich aktuelle Selbsthilfe-Angebote mit Kontaktdaten auf. Die wichtige Öffentlichkeitsarbeit lief zunächst nur über regionale Zeitungen. Im digitalen Zeitalter gibt es viel mehr Möglichkeiten, etwa über soziale Medien oder unsere Homepage (https://wetteraukreis.de/selbsthilfe). Unser Selbsthilfe-Newsletter wird gut genutzt, die Kliniken sind offener für Selbsthilfe geworden, es fand eine Vernetzung mit Beratungsstellen statt, und seit zwei Jahren wirbt ein folierter Linienbus im Kreis für die Selbsthilfe.

Frage: Das klingt nach einer sehr positiven Entwicklung. Herausforderungen bei Ihrer Arbeit gibt es doch sicher trotzdem. Welche sind das?

Es sind natürlich Mut und Energie nötig, um sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen oder mit Hilfe der Selbsthilfe-Kontaktstelle selbst eine Gruppe zu gründen. Manchen Betroffenen fällt es schwer, den ersten Schritt in eine solche Gruppe zu tun. In meiner Funktion unterstütze ich sie dabei und motiviere sie dazu, sich in schwierigen Lebenslagen selbst zu helfen und im Austausch zu mündigen Patienten zu entwickeln.

Frage: Was macht die Arbeit der Selbsthilfe-Kontaktstelle so relevant?

Sie ist relevant, weil sie als zentrale Anlaufstelle Betroffene über Selbsthilfe informiert, Kontakt zu Gruppen herstellt und bei Gruppengründungen unterstützt. Sie fördert Vernetzung, bietet Infrastruktur, vermittelt Wissen und stellt eine wichtige Stimme für die Selbsthilfe in der Öffentlichkeit und gegenüber Institutionen dar.

Frage: Was würden Sie als Ihren größten Erfolg als Koordinatorin der Selbsthilfe-Kontaktstelle bezeichnen?

Das ist auf jeden Fall die Selbsthilfe-MEILE. Anfangs veranstaltete die Selbsthilfe-Kontaktstelle Selbsthilfetage in Bürgerhäusern. Das hat sich nicht besonders bewährt, denn es kamen kaum Besucherinnen und Besucher. Also änderten wir das Konzept hin zur Selbsthilfe-MEILE. Anfangs an verschiedenen Stellen, hat sich letztlich der Veranstaltungsort auf der Kiespromenade in Bad Nauheim bewährt. Die MEILE wächst und wächst. Zuletzt stellten rund 70 Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und ehrenamtliche Institutionen ihre Arbeit an Ständen vor. Und die Resonanz war sehr groß.

Frage: Welche neuen Themenfelder haben sich im Bereich der Selbsthilfe entwickelt, an die wir vor zehn bis 15 Jahren noch gar nicht gedacht haben?

„Long Covid“ war damals noch kein Thema. Zu Pandemiebeginn gründeten sich fünf Selbsthilfegruppen, jetzt sind noch drei aktiv. Narzisstischer Missbrauch wurde erst mit der Definition zum Selbsthilfe-Thema. Dazu erhalten wir viele Anfragen. Kürzlich wurde die dritte Gruppe gegründet. Die Gründung einer Selbsthilfegruppe zum Thema „Schulmüde Jugendliche“ hat uns nicht erstaunt – Mediensucht ist seit Jahren ein Thema. Durch Enttabuisierung wurden Homosexualität und Queersein sowie Transidentität ebenfalls Aspekte der Selbsthilfelandschaft. Auch verlassene (Groß-)Eltern suchen seit ein paar Jahren Unterstützung.

Frage: Das Spektrum der Selbsthilfe im Wetteraukreis ist also sehr breit. Wie sehen Sie die Selbsthilfearbeit im Wetteraukreis insgesamt aufgestellt?

Einige Selbsthilfegruppen sind seit Jahrzehnten tätig, andere relativ neu. Vor allem neue Gruppen benötigen Unterstützung. Die Selbsthilfe-Kontaktstelle bietet jährlich zwei Fortbildungen an, die bei Themen wie Gesprächsführung, Konfliktsituationen, Abgrenzung, Gestaltung der Treffen oder Datenschutz Hilfestellung bieten. Zudem gibt es kostenlose Weiterbildungsangebote der Volkshochschule, und auch gesetzliche Krankenkassen bieten Schulungen an. Sie leisten einen maßgeblichen Beitrag zur Basisfinanzierung gesundheitsbezogener Selbsthilfe. Und der Wetteraukreis unterstützt die Arbeit der Gruppen ebenfalls finanziell.

Frage: Erstmals haben die Nationale Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (NAKOS) und die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Selbsthilfegruppen (DAG SHG) am 16. September den „Tag der Selbsthilfe“ ausgerufen. Was erwarten oder erhoffen Sie sich von diesem Tag?

Selbsthilfe ist wichtig und wirkt! Sie benötigt aber Öffentlichkeitsarbeit. Der „Tag der Selbsthilfe“ soll die Vielfalt der Selbsthilfeangebote präsentieren und ihre positive Wirkung betonen. Mein Appell ist daher: Egal, ob man von einer chronischen Krankheit oder Behinderung betroffen ist oder Angehöriger beziehungsweise Angehörige ist – Selbsthilfegruppen bieten Betroffenen die Chance zu gegenseitiger Information, Motivation und Unterstützung. Man tauscht sich aus, lernt voneinander und ermutigt sich gegenseitig. Selbsthilfe ist eine wesentliche Ergänzung zu professioneller Hilfe in der gesundheitlichen und sozialen Versorgung. Nicht zuletzt bietet sie Orientierung in unserem hoch spezialisierten und komplexen Gesundheitssystem.

Frage: Wenn Sie sich etwas für die Unterstützung Ihrer Arbeit wünschen dürften – was sollte das sein?

Ich erfahre viel Unterstützung von meinen Vorgesetzten, indem ich eigenverantwortlich und frei arbeiten kann. Dadurch fühle ich mich wertgeschätzt. Die Kreispressestelle unterstützt mich enorm bei der Öffentlichkeitsarbeit, und Arbeitskolleginnen und -kollegen des Gesundheitsamts helfen bei Bedarf. Dafür bin ich sehr dankbar. Bald werde ich 63 Jahre alt, ich wünsche mir einen engagierten Nachfolger oder eine engagierte Nachfolgerin, den oder die ich einarbeiten und noch etwas begleiten darf.

Wichtiger Beitrag zur Gesundheitsversorgung

Die Selbsthilfe-Kontaktstelle des Wetteraukreises fördert den Selbsthilfe-Gedanken im Kreis und unterstützt ehrenamtlich Engagierte. So gibt es regelmäßige Beratungsangebote für Einzelne und Selbsthilfegruppen. Die Bedeutung des Selbsthilfegedankens in der modernen Gesundheitsversorgung betont auch Landrat Jan Weckler: „Nur die Betroffenen selbst können ihre Bedürfnisse und die damit verbundenen Herausforderungen wirklich nachvollziehen. Sie kennen ihre Krankheit oder Lebenssituation am besten. Der regelmäßige Austausch mit anderen Betroffenen macht sie zu Experten in eigener Sache und verbessert so den Kontakt zu Ärzten, Institutionen und Behörden erheblich. Die Selbsthilfe-Kontaktstelle des Wetteraukreises fördert diesen Austausch und unterstützt ehrenamtlich Engagierte. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung im Landkreis.“

Auf https://wetteraukreis.de/selbsthilfe finden Interessierte weitere Informationen sowie eine Auflistung aller derzeit aktiven Gruppen und Beratungsstellen.

Kontakt:
Selbsthilfe-Kontaktstelle des Wetteraukreises
(06031) 83-2345
E-Mail 

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Anette Obleser 06031 83-2345 188 E-Mail
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Veröffentlicht am: 16. September 2025