Einblicke in die Vielfalt jüdischen Lebens
Das Kultur- und Sportforum Dortelweil bot kürzlich eine inspirierende Plattform für Einblicke in die Facetten des jüdischen Lebens in Deutschland. Unter dem Motto „Miteinander statt übereinander reden“ veranstalteten „Dortel!Weil!Musik“, der Förderkreis Musik der evangelischen Kirchengemeinde Dortelweil und der Fachdienst Frauen und Chancengleichheit des Wetteraukreises eine Podiumsdiskussion sowie ein begeisterndes Konzert.
Rund 160 Interessierte kamen nach Dortelweil, um mehr über den Alltag, die Überzeugungen und die Herausforderungen jüdischer Menschen in Deutschland zu erfahren. Die Veranstaltung bot nicht nur Einblicke in das jüdische Leben, sondern präsentierte auch Werke jüdischer Komponistinnen und Komponisten, dargeboten vom einfühlsam spielenden Klavierduo „Bodnárová und Wolf“.
Besonderen Wert legten die Veranstalterinnen und Veranstalter darauf, einen offenen Dialog zwischen Besucherinnen, Besuchern und Podiumsgästen zu ermöglichen. Moderatorin Claudia Taphorn betonte den Wunsch, den Abend zu einem Ort herzlicher Begegnungen zu machen. „Wir sind unglaublich froh und dankbar, dass wir mit Daniel und Sarah zwei so aufgeschlossene jüdische Menschen gefunden haben, die bereit sind, uns Einblicke in ihren Alltag zu geben und Fragen aus dem Publikum zu beantworten“, erklärte Taphorn. „Das ist gerade in der gegenwärtigen Situation nicht selbstverständlich.“
Sibylle Wolf vom Förderkreis Musik erläuterte die Absicht, echte Verständigung zu fördern und einen authentischen Einblick in das Leben jüdischer Menschen zu ermöglichen. „Leider ist es immer noch so, dass in den Medien nur über wenige – meist negativ besetzte – Themen berichtet wird. Wir haben ganz bewusst einen anderen Ansatz gewählt“, sagte Wolf. „Wir wollten erfahren, wie der Alltag jüdischer Menschen aussieht, was sie bewegt, mit welchen Themen sie konfrontiert sind und warum sie so wenig sichtbar sind.“ Mit kurzen Texten, die auf verschiedene Aspekte der Komponisten hinwiesen, leitete Sibylle Wolf jeweils nach den konzertanten Darbietungen über zur Gesprächsrunde.
Erste Kreisbeigeordnete Stephanie Becker-Bösch und Dekan Volkhard Guth vom Evangelischen Dekanat Wetterau unterstrichen in ihren Grußworten die besondere Bedeutung der Veranstaltung: „Jüdischsein ist Teil unserer Kultur. Wichtig ist, das zu verdeutlichen, da dies gerade in Frage gestellt wird.“
Religion, Lebensweise und Kultur
Die Unterschiedlichkeit jüdischen Lebens zeigte sich bereits bei der Vorstellung der Gäste. Daniel, dessen Vater aus dem KZ-Außenlager Königs Wusterhausen von der russischen Armee befreit wurde, beschrieb sich selbst als nicht religiösen, orthodoxen Juden. Sarah hingegen lebt ein liberales Judentum und engagiert sich als Vorstand in ihrer Gemeinde. Die beiden machten deutlich, dass jüdisches Leben nicht nur mit Religion zu tun hat, sondern auch Lebensweise und Kultur umfasst.
Nach dem ausdrücklichen Hinweis, dass es keine dummen Fragen gebe, machte das Publikum regen Gebrauch von dieser Möglichkeit. Die Fragen reichten von „Was macht ihr am Schabbat?“ über „Dürfen Frauen eigentlich Kippa tragen?“ bis hin zu „Wozu braucht es jüdische Schulen?“ Die beiden Gäste beantworteten alle Anliegen ausführlich und brachten mit ihren Antworten das Publikum auch das ein oder andere Mal zum Lachen. Ob sich die beiden in Deutschland zu Hause fühlen, wollte Moderatorin Taphorn wissen. Beide konnten dies für sich mit Ja beantworten. Häufiger würden sie darauf angesprochen, ob es nicht problematisch sei, im Land „der Täter der Shoah“ zu leben, erklärte Daniel. „Doch die Täter sind global verteilt.“ „Und außerdem“, ergänzte Sarah, „ist das auch unser Land, und das geben wir nicht auf.“
Stille Betroffenheit herrschte, als die Sprache auf den Terroranschlag der Hamas kam. Daniel machte mit wenigen, aber eindringlichen Worten deutlich, dass seit dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober nichts mehr ist, wie es vorher war. „Wir alle kennen Menschen, die betroffen sind, die Angehörigen verloren haben oder vermisst sind.“ „Ich bin ein optimistischer Mensch – aber ich weiß nicht, wie es nun weitergeht.“
Im Gedenken an die Opfer des brutalen Anschlags, aber auch in Erinnerung an alle anderen Menschen, die von Gewalt und Kriegen betroffen sind, luden Daniel, Sarah und der Dortelweiler Pfarrer Johannes Misterek zum Abschluss der Veranstaltung zum Gebet ein. „Bei aller Verschiedenheit eint uns der gemeinsamen Wunsch, einen Weg zum Frieden zu finden“, stellte Taphorn voran. Anschließend sprachen Daniel und Sarah auf Hebräisch und Deutsch das Haschkiwejnu-Gebet, eine Bitte um Frieden und Schutz aus der jüdischen Abendliturgie. Johannes Misterek schloss mit Psalm 85 an. Die Worte fanden ihren Nachklang beim darauf präsentierten „Andante con Variationi“ op. 83a von Felix Mendelssohn Bartholdy. Der anschließende Applaus drückte die Anerkennung für die musikalische Leistung aus.
Gemeinsamer Ausklang
„Lassen Sie uns Brücken bauen, zusammenstehen und solidarisch sein“, forderte Taphorn die Besucherinnen und Besucher zum Abschluss auf und lud alle Gäste zum gemeinsamen Ausklang bei einem Getränk ein. Besucherin Ina Franke fand die Veranstaltung sehr gelungen: „Es ist sehr schön, dass so etwas Qualitatives hier möglich ist. Die Kombination aus künstlerischem Schaffen und Gespräch mit den Gästen war unglaublich interessant. Vieles habe ich nicht gewusst. Ich würde mir wünschen, dass so etwas häufiger angeboten wird und noch mehr Menschen erreicht werden.“
Besucherin Patricia Illian fand die Musik besonders eindrucksvoll und berührend. „Ich bin beeindruckt, wie brillant die Stücke präsentiert wurden. Traurig stimmt mich, dass jüdische Menschen in Deutschland heute wieder Angst vor Anfeindungen haben müssen.“ „Es braucht mehr Sensibilität und Zivilcourage, mehr Toleranz und Respekt“, resümierte Besucherin Conny Wenk, die auch die Partnerschaft für „Demokratie Wetterau“ koordiniert. „Mit der Förderung der Veranstaltung möchten wir dazu beitragen, unsere demokratische Kultur im Wetteraukreis zu stärken und für ein gutes Zusammenleben zu sorgen.“ Die Veranstaltung wurde aus Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie Leben!“ gefördert, kofinanziert vom Land Hessen.