Interview mit Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs

Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs in seinem Büro. Er hält eine Packung mit Schnelltests und medizinisches Material in den Händen. Im Hintergrund ein Schreibtisch und weiteres Verbrauchsmaterial.

Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs in seinem Büro, das mittlerweile zu einem Lager für Schnelltests und anderes Verbrauchsmaterial geworden ist.

Herr Dr. Merbs: Dieser Tage war in einer Internetnachricht zu lesen, dass es eine Impfstoffknappheit gibt. Wie ist die aktuelle Situation der Impfstoffversorgung im Wetteraukreis?

Dr. Merbs: Das ist richtig, insbesondere der Impfstoff von BioNTech wird nur in geringen Mengen ausgeliefert. Wir haben in den letzten drei Wochen nur zwei Prozent der bestellten Menge über die Lieferapotheke erhalten können. Bei den Haus- und Fachärzten ist es ähnlich schwierig. Trotzdem ist es bislang immer gelungen, über unser Reservekonzept ausreichend Impfstoff zur Verfügung zu haben. Jeder, der sich impfen lassen will, kann sehr kurzfristig in unserem Impfzentrum einen Termin bekommen.

Wie viele Menschen können Sie mittelfristig, sagen wir mal bis Ende des Monats täglich impfen?

Dr. Merbs: Nach Vorgaben des Landes sind wir aufgefordert als Gesundheitsamt für 2,5 Prozent der Bevölkerung pro Woche ein Impfangebot zu machen. Also 7700 Impfangebote pro Woche. Das erreichen wir auch. Wir können derzeit täglich rund 1500 Menschen impfen. 45.000 Impfungen für diesen Monat sind kein Problem. Ganz im Gegenteil. Es fehlen die Impflinge. Wer einen Impftermin sucht, bekommt derzeit längstens innerhalb von drei Tagen einen Termin.

Was bedeutet das, dass die Kapazitäten nicht nachgefragt werden?

Dr. Merbs: Die Impfstoffe werden uns in der Regel nur kurzfristig lagerfähig ausgeliefert. Wenn also nur ein Bruchteil der Impfangebote wahrgenommen wird, kann es zum Verfall von Impfstoffen kommen, was wir natürlich mit allen Mitteln zu verhindern suchen. Zusätzlich bedeutet das, dass wir bei hohem Aufwand für die Vorhaltung dieser Termine bescheidene Impfraten produzieren werden. Dies ist unwirtschaftlich und kostet unser aller Geld.

Es ist ja eine absurde Situation. Einerseits ist der Impfstoff, insbesondere der von BioNTech, seit Wochen ein knappes Gut, andererseits droht Impfstoff zu verfallen. Die Menschen waren Anfang Dezember froh um jeden Termin, den sie bekommen konnten, und jetzt kommt keiner mehr?

Dr. Merbs: Im Prinzip ist es so. Wir haben eine sehr diskontinuierliche Nachfrage. Das kann sich allerdings in wenigen Tagen schon wieder völlig ändern.

Zwischenzeitlich hieß es mal, dass der Impfstoff länger haltbar sei.

Dr. Merbs: Die mRNA Impfstoffe sind grundsätzlich nach Auftauen für 30 Tage im Kühlschrank lagerfähig. Leider hat der Impfstoff, den wir bekommen häufig schon die ersten 14 Tage beim Großhandel verbracht bis er zu uns geliefert wird. Derzeit verwenden wir verschiedene Chargen mit jeweils wenigen Tagen Restlaufzeit, weil wir von anderen Impfzentren Impfstoff übernehmen, der dort nicht mehr im Zeitfenster verbraucht werden kann. Das macht es zu einem logistischen Puzzlespiel, aber nur so konnten wir bislang den Impfstoffbedarf auch decken und Verfall verhindern.

Wie kam es zu dieser Entwicklung, dass Ihnen jetzt die Impflinge fehlen?

Dr. Merbs: Da kann man nur spekulieren. Wir hatten noch bis zum 3. Januar 2022 alle angebotenen Termine ausgebucht. Ab heute, Dienstag, den 4. Januar ist die Nachfrage im zentralen Impfzentrum in Wölfersheim schon deutlich zurückgegangen, und für die nächsten Tage können wir vielleicht gerade mal 30 Prozent unserer Kapazitäten nutzen.

Im November haben wir begonnen, die Impfangebote der Haus- und Fachärzte im Wetteraukreis durch kontinuierliche Impfangebote des Gesundheitsamtes zu unterstützen. Wir wussten aus den Impfdaten vom ersten Halbjahr 2021, dass im Dezember und Januar bei vielen Menschen die sechs Monate nach Grundimpfung ablaufen würden. Folglich konnte die Nachfrage nach zeitnahen Booster-Impfungen nicht mehr alleine durch die niedergelassenen Ärzte bedient werden. Gleichzeitig waren durch Änderungen der Rahmenbedingungen (Boosterung schon nach drei Monaten) auch noch mehr Menschen auf der Suche nach einem zeitnahen Termin. Gemeinsam haben wir in den Kalenderwochen 48 bis 52 circa 96.500 Impfungen durchgeführt, zwei Drittel davon die niedergelassenen Ärzte. Dies ist auch im hessenweiten Vergleich ein beachtenswertes Ergebnis.

Damit ist ein wichtiger erster Schritt getan, denn jetzt sind viele Menschen dreimal geimpft und somit bestmöglich vorbereitet auf die drohende Omikron Welle.

Omikron scheint die vorherrschende Variante in Deutschland. Wird jeder PCR-Test sequenziert, also auf Omikron untersucht?

Dr. Merbs: Nein, es wird nach wie vor grundsätzlich eher wenig routinemäßig sequenziert in Deutschland. Wir können in begründeten Verdachtsfällen die Sequenzierung zwar veranlassen, bekommen aber erst Tage später ein Ergebnis. Bei Ausbruchsgeschehen werden exemplarisch einzelne Proben sequenziert, die Folgeansteckungen dann der gefundenen Variante zugeordnet. Daher auch der Verdacht, dass wir aktuell schon weit höhere Omikron-Anteile am Infektionsgeschehen haben.

Was bedeutet Omikron konkret jetzt für die Kontaktnachverfolgung?

Dr. Merbs: Da für Omikron andere, schärfere Regeln gelten als für die derzeit offiziell noch vorherrschende Delta Variante, kommt es bei den betroffenen Menschen häufig zu Unverständnis, wenn wir nach drei Tagen die für Delta getroffenen Ansagen nachträglich verschärfen müssen.

Konkret heißt das?

Dr. Merbs: Wir teilen den Menschen mit: „Sie sind positiv im PCR Test. Sie müssen für die nächsten 14 Tage in Quarantäne.“ Nach fünf Tagen kann man sich, sofern asymptomatisch und vollständig geimpft, per PCR-Test und nach sieben Tagen per Schnelltest frei testen. Die Kontaktpersonen zu den Delta-Infizierten gehen überhaupt nicht mehr in Quarantäne, sofern sie geimpft oder genesen sind. Das ist die Botschaft, die wir den Leuten am Telefon mitteilen.

Und dann kommt Omikron…

Dr. Merbs: Ja, genau! Kurz darauf werden wir dann von den Laboren darüber informiert, dass der Verdacht auf Omikron besteht. Das passiert in der Regel drei Tage nach dem positiven Testergebnis. Die Erkrankten können sich dann nicht freitesten, und jetzt müssen auch die Kontaktpersonen, egal ob geimpft oder genesen, in Quarantäne.

Also eine völlig andere Botschaft?

Dr. Merbs: Leider ja, die betroffenen Kontaktpersonen waren aber vorher schon drei Tage nicht in Quarantäne, sondern haben ganz normal am Leben teilgenommen. Für sie ist das natürlich eine einschneidende Maßnahme, andererseits wirkt es auch nicht gerade professionell, wenn wir erst die eine Information geben und dann drei Tage später mit einer anderen weiterreichenden nachkommen.

Was bedeutet das für das Gesundheitsamt?

Dr. Merbs: Das macht natürlich bei der Kontaktnachverfolgung viele Schwierigkeiten, weil das ganze Verwaltungsprozedere erneut aufgerollt werden muss.

Es gibt jetzt eine Diskussion darüber, die Quarantänemaßnahmen zu lockern. Wie sehen Sie das?

Dr. Merbs: Es bleibt eine Gratwanderung für die politischen Entscheider. Will man infektiologisch etwas erreichen, muss man restriktiv vorgehen, also Kontakte massiv beschränken. Lockert man, geht das Leben mit weniger Einschränkungen weiter, aber die Belastungen für unser Gesundheitssystem könnten steigen.

Noch etwas Positives zum Schluss: Omikron scheint zwar höher ansteckend als alle Varianten zuvor, macht aber nach derzeitigen Kenntnisstand eher weniger schwere Verläufe. Wer genesen oder geimpft ist, am besten geboostert, hat maximal vorgesorgt. Jetzt noch weiter auf Abstand, Maskenpflicht und Kontaktvermeidung achten. Damit sollten wir durchkommen können!

Veröffentlicht am: 05. Januar 2022