Chornachmittag in der Friedberger Stadthalle: "Mixed Voices"

Ein Mann dirigiert einen im Halbkreis aufgestellten Chor.

Chorleiter Patrick Schauermann und der Chor Mixed Voices.

Vor 50 Jahren wurde der Wetteraukreis durch den Zusammenschluss der Altkreise Friedberg und Büdingen gegründet. Aus Anlass des 50. Geburtstags lädt Landrat Jan Weckler für Sonntag, den 28. August um 14 Uhr zu einem Liederfestival mit elf Chören in die Stadthalle Friedberg ein: „Die Chöre in unserem Landkreis sind ein wichtiger Teil im Kulturangebot unserer Städte und Dörfer. Gerade sie haben in der Pandemie besonders gelitten. Dennoch haben viele Chöre mit großem Engagement und genauso viel Umsicht den Chorbetrieb aufrechterhalten und so den Verein durch diese schwierige Zeit gebracht. Deshalb freue ich mich besonders, gemeinsam mit hoffentlich vielen Gästen dieses Fest der Musik zu feiern.“ Die teilnehmenden Chöre wollen wir in einer Reihe vorstellen.

Mixed Voices - Anspruchsvolle Literatur für ambitionierte Sängerinnen und Sänger

Der Chor Mixed Voices ist aus einer Idee von Patrick Schauermann entstanden. Er hat Musik studiert und ist Bundeschorleiter der Hessischen Chorjugend und war mehrere Jahre Kreis-Chorleiter des Sängerkreises Büdingen. Der 29-Jährige ist musikalischer Leiter von mittlerweile 13 Chören und wollte mit einem hochkarätigen Chor nach Manila auf die Philippinen reisen, um dort an gemeinsamen Konzerten eines befreundeten Universitätschores teilzunehmen. Dazu hat er Sängerinnen und Sänger aus seinen Chören zusammengesucht und diesen Projektchor ins Leben gerufen. Nach den ersten Erfolgen war schnell klar, dass es nicht bei einem Projekt bleiben wird, sondern dass der Chor sich regelmäßig trifft und auch auftreten wird.

Mittlerweile sind rund 50 Sängerinnen und Sänger bei Mixed Voices dabei. Die vier Stimmlagen, Alt und Sopran bei Frauen, Tenor und Bass bei Männern, sind jeweils doppelt besetzt, sodass der Chor achtstimmig aufgestellt ist.

„Ein Elitechor ist Mixed Voices nicht“, sagt Patrick Schauermann, „aber man muss schon eine ambitionierte Sängerin, ein ambitionierter Sänger sein, um hier mitzumachen. Wir treffen uns ja nur einmal im Monat für drei Stunden, deshalb muss man eben auch zu Hause üben, das kann auch nicht jeder Sänger. Ich habe dann aus meinen Chören Sängerinnen und Sänger herausgesucht, um jede Stimme doppelt zu besetzen – das heißt, wir haben jede Stimme etwas höher und etwas tiefer, so können wir auch anspruchsvolle Lieder achtstimmig singen.“

Was einen guten Chorleiter ausmacht möchte Patrick Schauermann am liebsten von seinen Chormitgliedern beantworten lassen. Sicher gehört dazu, sich mit den verschiedenen Genres auszukennen, die Chorliteratur zu kennen – auch die anspruchsvolle. Und natürlich die Fähigkeit Menschen zu begeistern und zum regelmäßigen Üben und Proben zu motivieren.

Gesungen wird alles, vor allem das was für den „Otto-Normalchor“ nicht möglich ist, also anspruchsvolle Stücke und größere Werke, von Mendelssohn bis hin zu neueren Komponisten, Neue Musik aber auch Rock und Pop stehen auf unserem Programm. Ein Song von Ed Sheeran, achtstimmig gesungen, begeistert auch junge Zuhörerinnen und Zuhörer.

Die 50 Sängerinnen und Sänger kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten, vom Koch über Erzieherin, vom Verwaltungsangestellten zur Lehrerin und vom Mediziner bis zum Handwerker. Im Chor kommt es nur auf die Stimme an. Die Wege, die die Aktiven in Kauf nehmen, sind zum Teil beträchtlich, die 24-jährige Alina ist heute fast 70 Kilometer weit zur Probe gefahren. Aus Schwalmstadt und Nieder-Weisel, aus Geislitz und Wolferborn oder Alsfeld kommen die anderen. Nicht jeder kann bei Mixed Voices mitsingen: „Wir brauchen schon eine gewisse Qualität, deshalb musste ich auch schon manchen Interessenten absagen“, verrät Patrick Schauermann.

30 Chormitglieder sind an diesem Sommersonntag in den Nebenraum eines Restaurants, das den treffenden Namen „Sängereck“ trägt, gekommen. Hier haben wohl schon Generation von Sängerinnen und Sänger ihre Lieder einstudiert. Die Chorprobe beginnt damit, dass Patrick Schauermann die Sitzordnung verändert. Die optimale Sitzordnung gewährleistet, dass alle Stimmen zur Geltung kommen. Nach den Lockerungsübungen und ersten Stimmübungen geht es ganz untypisch für den heißen Tag mit einem Winterlied los. Es ist die Zugabe für das Weihnachtskonzert, für das jetzt schon geübt wird.

„Auf dem Weihnachtsmarkt in Buxtehude,

gab es einen Mann mit Glühweinbude…“

Strophe für Strophe wird gesungen, erst die Einzelstimmen, dann zweistimmig und dann als harmonisches Ganzes der ganze Chor. Das Lied klingt schon bei der ersten Probe sehr gut, dabei halten die Sängerinnen und Sänger die Noten wie das Stück zum ersten Mal in ihren Händen. Ein Zeichen dafür, wie gut der Chor aufeinander eingestimmt ist und wie perfekt jeder seine Stimme beherrscht.

Ganz ohne Bruch geht die Probe weiter vom Trinklied aus der klassischen Männerchor-Literatur hin zur Kirchenmusik:

„Jauchzet dem Herrn alle Welt“, Felix Mendelssohn-Bartholdy hat den Psalm 100 vertont. Man muss nicht religiös sein, um das Lied zu mögen und man kann sich gut vorstellen, wie die Motette in einem großen Kirchenschiff klingt. Patrick Schauermann geht es nicht um Wettsingen und den Vergleich mit anderen Chören, er möchte für und aus seinen Sängerinnen und Sängern das Beste herausholen. Eine CD wurde bislang eingespielt mit Weihnachtsliedern. Das Repertoire ist groß, 20 Lieder werden bei Konzerten gesungen.

Bei dem Marschlied von Oliver Gies kommt es zu einer kurzen Diskussion unter den Chormitgliedern. Eine gekürzte Videoaufnahme nur der ersten Strophen könnte missverständlich sein. Nur das Lied in voller Länge führt die fürchterlichen Konsequenzen blinden Gehorsams vor Augen. Eine Konsequenz, die das nächste Stück vor Augen führt.

Die Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“ hat der Kreuzkirchenkantor Rudolf Mauersberger unter dem Eindruck der Zerstörung Dresdens im Februar 1945 komponiert. Traditionell wird es vom Kreuzchor am Karsamstag aufgeführt. Im Probenraum entsteht sofort eine düstere und schwere Stimmung, man meint die Ruinen des zerstörten Dresdens vor sich zu sehen. Das Stück hat angesichts des Krieges in der Ukraine an Aktualität gewonnen. Wer die Bilder in den Nachrichten sieht, fühlt sich an die Zerstörung der Stadt an der Elbe erinnert. 

Gegen Ende der Probe interpretiert der Chor „Supermarkt Flowers“, von Ed Sheeran. Das Lied zum Andenken an seine verstorbene Großmutter wird achtstimmig gesungen und begeistert in der Chorversion manche noch mehr als das Original. Schließlich kommt noch ein Song aus dem Disney Zeichentrickfilm „Herkules“. „Go The Distance“ ist nicht ganz leicht zu singen, weil ab Takt 13 die Stimmen einzeln aufhören müssen, um sich anschließend in einem Crescendo zu erheben.

Auch beim letzten Stück ist noch die volle Konzentration da, obwohl es für die meisten neu ist und vom Blatt abgesungen werden muss. Und auch wenn es die erste Probe ist, das „Abendlied“ von Rheinberger klingt schon wunderbar harmonisch.

Nach der Probe sitzen die meisten Sängerinnen und Sänger noch beisammen. Man duzt sich. Wir haben mit Klara (27), Alina (24) und Helene (26) gesprochen. Alle drei haben gerade ihr Lehramtsstudium abgeschlossen und befinden sich im Referendariat.

Warum Singen Sie? Mit Mitte zwanzig kann man doch am Sonntagnachmittag im Sommer etwas Besseres machen?

Klara: Es macht einfach Spaß in der Gruppe zu singen. Es ist die Stimmung, wir schauen uns an und strahlen. Das ist einfach großartig.

Die Chorliteratur die heute gesungen wurde, da ist doch nicht Ihre Lebenswelt, die Trauermotette oder das Trinklied.

Alina: Das würde ich nicht so sagen, wir drei haben Lehramt studiert mit dem Fach Musik, da gehört es auch dazu selbst Musik zu machen und wir wollen die Freude am Singen den Schülerinnen und Schülern weitergeben.

Schaffen Sie das?

Alle drei: Auf jeden Fall!

Helene: Gerade in der Grundschule und der Förderschule hat man Kinder, die dafür besonders empfänglich sind. Wir können das was uns Freude macht und was uns auch im Beruf hilft zusammenbringen. Da kommen wir auch gerne am Sonntagnachmittag zur Chorprobe.

Klara: Wenn man Spaß an der Sache hat, dann nimmt man sich einfach die Zeit.

Singen Sie auch noch in anderen Chören?

Alle drei: Ja!

Alina: Klara und ich wohnen ja auch schon nicht mehr in Gießen. Wir haben aber beide gesagt, dass es uns mit dem Chor so gut gefällt, dass wir die weite Fahrt für die monatliche Chorprobe auf uns nehmen.

Veröffentlicht am: 18. August 2022